„Casere a gradoni“ (Bauten mit charakteristischem Stufengiebel)
Lage: Lok. Orza – Gemeinde Sovramonte (Bl)
Zugang: Vom Ortsteil Aune (891 m) ins Val Masiera, Spaziergang auf einer schönen Waldstraße (Autos nur mit spezieller Fahrerlaubnis); sobald man im Nationalpark ist, kommt man an eine Kreuzung, geht hier rechts und erreicht in Kürze die Lichtung in Orza (1100 m).
Landschaft – Beschreibung: der Bau steht auf einer grünen Lichtung mit sanftem Gefälle inmitten des “Waldstreifens” von Sovramonte am SW-Rand des Nationalparks. Die Region Orza, dessen Name vermutlich darauf zurückgeht, dass man einst “Orzo” (Gerste) anbaute, hat zahlreiche jahreszeitlich genutzte Siedlungen, vor allem Ställe und Heuschober, die man im Sommer zur Almwirtschaft brauchte. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war die Lichtung wesentlich grösser als heute, und viele Landstriche waren bestellt. Mit dem Rückgang der Land- und Almwirtschaft breitete sich der Wald während der letzten Jahrzehnte immer mehr aus.
Orza liegt etwa 3 km von Aune entfernt auf 1100 m Seehöhe im Gemeindegebiet Sovramonte und im Nationalpark.
Bauzeit: unbekannt (die Jahreszahl 1826 bezieht sich vermutlich auf eine Restaurierung);
Architektonische Merkmale: isoliert liegender Stalle und Heuschober mit Stufengiebel (Scalinèle), Beispiel einer raren und antiken Bauweise. Historisch und landschaftlich sehr wertvoll.
Siedlungsform (Beschreibung der Gebäude)
Es handelt sich um einen einfachen Baukörper mit rechteckigem Grundriss und zwei Räumen: Im Erdgeschoss befindet sich der Stall und darüber der Heuboden. Es gibt keine interne Verbindung zwischen diesen Räumen, d.h. nur Zugänge von Außen. Im Norden gräbt sich der Bau tief ins Gelände, und das erleichterte das Einlagern des Heus. Das Dach, das sowohl aus funktioneller Sicht als auch hinsichtlich des Volumens das primäre Element ist, die symmetrisch angelegten Fassadenöffnungen und der Stufengiebel links und rechts verleihen dem Bau ein monumentales Aussehen. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde er mit einer kleinen weiter oben stehenden Hütte verbunden.
- Vertikale Strukturen: lokaler Stein und gelöschter Kalk, zugehauene Ecksteine und Kronen aus Steinplatten. Die Türen befinden sich an den Seitenwänden (Stalltür im S, Tür zum Heuboden im N) und die kleinen Fenster im Erdgeschoss mit steinernen Rahmen und Bögen, die halbrunde Öffnung und die kleineren (rechteckigen) Öffnungen zur Lüftung des Heubodens sind symmetrisch und harmonisch angeordnet.
- Horizontale Strukturen: der Stallboden im Erdgeschoss ist aus Stein (Pflaster) und der Heuboden im Obergeschoss aus Holz.
- Abdeckungen: Satteldach mit symmetrischen und sehr steilen (mehr als 100 %) Flächen, “zangenförmiger” Dachstuhl aus Holz, Dachhaut aus Blech (früher aus Weizen- oder Haferstroh).
- Wichtigste Elemente: Die Nord- und Südfassade hat einen stufenförmigen Giebel (“a gradoni” oder “a scalinèle”), der mit Steinplatten abgedeckt ist; diese Platten findet man auch auf der Krone, an den Seitenmauern und der Trauflinie, wo steinerne Elemente für ein schnelleres Abrinnen des Regenwassers sorgen. Der stufenförmige Giebel links und rechts war wegen der Beschaffenheit des Daches notwendig. Die Strohdächer mussten bestmöglich vor Regen und Wind (der das Dach hätte abdecken können) geschützt und regelmäßig repariert werden. Durch die Stufen gelangte man einerseits wesentlich einfacher auf das Dach (und konnte ein rudimentäres Gerüst befestigen) und andererseits verhinderten sie das Eindringen von Wasser und Wind.
Ursprüngliche Nutzung – Erhaltungszustand / heutige Nutzung
Stall und Heuboden wurden bis vor 50 Jahren zur Almwirtschaft genutzt; der Bau wurde im Jahr 1999 saniert und diente heute gelegentlich als Ausflugsziel.
Anmerkungen
Dieser Baustil ist heute sehr rar. In den fünfzehn Gemeinden im Nationalpark ist er nur im Raum Sovramonte zu sehen, und hier gibt es nur zwei Beispiele im Gebiet Orza (der andere Bau mit Stufengiebel ist im folgenden Datenblatt beschrieben). „Casèra De’ Bortoli” ist ein wertvolles Erbe, vor allem wegen seiner formellen Unverfälschtheit. Im Gegensatz zu den meisten anderen, hat es seine ursprüngliche Form gewahrt und keine substantiellen Umbauten erlebt. Studien belegen, dass diese architektonische Richtung germanische Ursprünge hat und dass sie sich vor allem Mitte des 14. Jahrhunderts verbreitete. Die Regionen Belluno und Feltre, die damals zum Deutschen Reich gehörten, waren strategisch sehr wichtig. Bei einem starken Erdbeben im Jahr 1348 und der folgenden Pestseuche kam ein Großteil der Bevölkerung ums Leben. Für den Wiederaufbau wurden vorwiegend ausländische Baumeister und Handwerker ins Land gerufen, und diese brachten den ihnen vertrauten Stil mit nach Belluno. Die Häuser mit Stufengiebel sind im gesamten Alpenraum verbreitet, vor allem in Nord- und Osteuropa. In der Provinz Belluno gab es sie früher in mehreren Tälern, heute findet man sie vorwiegend im Raum Alpago und (mit weniger steilen Dächern) am linken Piaveufer (Colle del Nevegàl).
Literaturverzeichnis
M. Vedana, Malghe e casère a gradoni. Tracce di matrici culturali germaniche nell’architettura tradizionale, in Insediamenti temporanei nella montagna bellunese, a cura di D. Perco, Comunità Montana Feltrina – C.D.C.P. – Quaderno n.14, Libreria Pilotto Editrice, Feltre 1997, pp. 157-172.
M. Bortot – G. Rossi, Tesi di laurea Sulle tracce della cultura germanica nell’architettura minore della Valbelluna, I.U.A.V. Istituto Universitario di Architettura di Venezia, a.a.1995/96.
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