Was ist Räude
Diese für Gämsen und Steinböcke sehr gefährliche Krankheit wird durch eine kleine, mit bloßem Auge kaum erkennbare Milbe verursacht: die Sarcoptes Milbe (Sarcoptes scabini rupicaprae).
Die Weibchen dieser Milben bohren Gänge in die Haut der befallenen Tiere, legen dort Eier ab und hinterlassen giftige Substanzen.
Die befallenen Tiere leiden unter starkem Juckreiz und kratzen sich an Bäumen und Felsen. Dabei verlieren sie ihr Fell auf Hals und Schnauze. Bei fortgeschrittener Erkrankung sind nackte Stellen am Bauch und im Schulterbereich erkennbar. Die Haut bildet Krusten und Risse. Die Tiere fressen wenig, werden immer schwächer und verenden schließlich.
In Gebieten, in denen die Gams- und Steinbockgruppen noch nie mit der Räude in Berührung kamen, liegt die Sterblichkeitsrate bei 95 %. Nach einigen Jahren nimmt die Epidemie ab, und die überlebenden Tiere können sich wieder vermehren. Die Krankheit kann zu einer Epidemie werden und im Abstand von 7 – 15 Jahren wiederholt auftreten, in diesem Fall ist die Sterblichkeitsrate aber wesentlich niedriger (10-15%).
Übertragung
Die Übertragung erfolgt durch den direkten Kontakt der Tiere, vor allem während der Paarungszeit (November – Dezember) und im Sommer, wenn die Jungtiere noch gesäugt werden.
Die Räude kann von der Gämse auf den Steinbock und auf die Hausziege übertragen werden, und auch diese kann sie auf wildlebende Paarhuferarten übertragen. Rehe, Hirsche, Mufflons, Rotwild und Schafe erkranken nur sehr selten an Räude.
Für den Menschen ist diese Krankheit grundsätzlich nicht gefährlich. Wenn man in Kontakt mit infizierten Tieren kommt, können jedoch allergische Reaktionen, starke Hautrötungen und Juckreiz ausgelöst werden.
Die Räude in Italien
Die Krankheit ist seit dem frühen 20. Jahrhundert bekannt, als sie erstmals in Deutschland und Frankreich beschrieben wurde. Die ersten Fälle in Italien wurden im Jahr 1949 in den Karnischen Alpen und im Raum Tarvis gemeldet. Es kam zu zwei schweren Epidemien in den Ostalpen: eine im Jahr 1976 und eine 1995. Letztere ist noch nicht erloschen und betrifft heute die Provinzen Bozen, Trento und Belluno.
Die Räude im Nationalpark der Belluneser Dolomiten
Den ersten Fall von Räude im Nationalpark der Belluneser Dolomiten verzeichnete man im Juni 2009. Am 31. Dezember 2009 wurden zwei weitere kranke Tiere gesichtet.
Die Gämsenrudel im Nationalpark werden konstant von den Mitarbeitern des staatlichen Forstkorps überwacht, und somit kann man Neuerkrankungen und den Krankheitsverlauf bei den Tieren im Schutzgebiet genau verfolgen.
Seit 2004 ist der Nationalpark in Zusammenarbeit mit der Universität Ferrara mit einer genetischen Untersuchung und der Beschaffung von DNA-Material der Gämsen beschäftigt. Dabei möchte man herausfinden, ob es genetische Differenzen gibt zwischen den außerhalb des Parks lebenden Rudeln, die in der Vergangenheit bereits von der Epidemie betroffen waren, und jenen, die heute noch massiv befallen sind.
Nach Ausbruch der Krankheit hat das Nationalparkamt beschlossen, die Wiedereinführung der Steinböcke aufzuschieben und somit zu verhindern, dass auch diese Tiere an Räude erkranken.
Wie bekämpft man diese Krankheit
Die Krankheit breitet sich mit einer Geschwindigkeit von zirka 7 – 9 Kilometer pro Jahr aus.
Dort, wo die Epidemie besonders stark wütete, hat man einige Tiere erlegt, um die Ansteckungsgefahr zu limitieren.
Diese Strategie brachte jedoch nicht die erhofften Resultate. Aus Untersuchungen ging hervor, dass es keine signifikanten Unterschiede gibt zwischen Zonen, in denen Tiere zur Dämmung der Ansteckungsgefahr erlegt wurden, und den anderen, das heißt die Sterblichkeitsrate zum Höhepunkt der Epidemie ist in beiden Fällen gleich hoch.
Ohne genaue Untersuchung des Tieres kann man nicht mit Sicherheit feststellen, ob es die Krankheit überleben wird oder nicht. Man riskiert also die Tötung der wenigen Tiere, die diese Krankheit überleben würden und somit jener Exemplare, die den Grundstein für die Wiederbevölkerung der Zone nach dem Ausklingen der Epidemie legen könnten.
Aus diesem Grund werden im Nationalpark der Belluneser Dolomiten die kranken Tiere nicht mehr erlegt, und an diesem Grundsatz möchte man auch dann festhalten, wenn sich die Krankheit im Laufe der kommenden Jahre weiter verbreitet.
Getötet werden nur Tiere, die sehr schwer erkrankt sind, stark leiden und sich in der Nähe von Hütten oder Wanderwegen aufhalten.
In nächster Zukunft ist es daher durchaus möglich, dass viele unserer Gämsen sterben werden, gleichzeitig ist es aber der einzige Weg, um eine möglichst schnelle Wiederbevölkerung zu gewährleisten.